Konzept & Anspruch

Beim Experimentalarchäologischen Freilichtlabor Lauresham handelt es sich um das 1:1-Modell eines karolingerzeitlichen Herrenhofes (curtis dominica) um 800 nach Christus und somit um die idealtypische (Re)Konstruktion eines großen frühmittelalterlichen Wirtschaftshofes. Auf einer Fläche von 4,1 Hektar entstand seit 2012 unter wissenschaftlicher Begleitung ein Ensemble aus verschiedenen Wirtschafts-, Wohn-, Speicher- und Stallbauten sowie eine Kapelle auf der Grundlage aktueller Forschungserkenntnisse der Siedlungsarchäologie. Zudem wurden verschiedene landwirtschaftliche Nutzflächen, also Wiesen, Weiden, Gärten und Ackerflächen im Freilichtlabor integriert. Auf den Weideflächen kommen Schweine, Rinder, Gänse, Hühner und auch Schafe zum Einsatz, die nicht nur allesamt einen lebhaften Eindruck vom Aussehen mittelalterlicher Nutztiere vermitteln sollen und somit als didaktisches Mittel dienen, sondern auch zur tatsächlichen Verwendung als Nutztiere eine bedeutende Rolle spielen, wie beispielsweise die Zugrinder. Der hierfür oftmals nötige Rückgriff auf alte Nutztierrassen bietet dabei die Chance, Erhaltungszuchtarbeit für diese meist stark bedrohten Tierarten leisten zu können. Die Auswahl der Pflanzen für den im Herrenhofareal angelegten Gemüsegarten folgt insbesondere dem sogenannten capitulare de villis, der Krongüterverordnung womöglich Karls des Großen. Die Äcker werden im experimentalarchäologischen Langzeitversuch mit Zugrindern der Rasse Rätisches Grauvieh und verschiedenen (Re)Konstruktionen historischer landwirtschaftlicher Geräte bewirtschaftet. Insgesamt soll in Lauresham ein anschauliches und lebendiges Bild vom Arbeits- und Alltagsleben der Menschen im Frühmittelalter dargestellt werden. Ein aktives Nebeneinander der beiden zentralen Säulen Forschung und Vermittlung ist uns hierbei ein besonderes Anliegen.

Vermittlung

In Bezug auf die Vermittlungsarbeit erfüllt das Freilichtlabor Lauresham gleich mehrere Funktionen innerhalb der didaktischen Gesamtkonzeption der Welterbestätte Kloster Lorsch. Zum einen vermittelt es einen facettenreichen Einblick in die Lebenswirklichkeit der frühmittelalterlichen Menschen und rückt damit das Thema Alltagskultur im Frühmittelalter stärker in den Fokus. Gerade hier zeigen sich die Vorteile eines 1:1-Modells sehr deutlich, erlaubt dieses Konzept doch einen sehr direkten und noch dazu lebhaften Zugang zu Themen wie Hausbau, Wohnkomfort, Handwerk, Tierhaltung, Landwirtschaft oder auch Luxus. Mit dieser Darstellungsform kann es zudem gelingen, auf einfache und spielerische Art und Weise herrschende Klischees über das angeblich so „dunkle Mittelalter“ zu überdenken und zu zeigen, dass in dieser Epoche die Grundlagen unterschiedlichster Aspekte der heutigen Zeit geschaffen wurden.  
Zum anderen ermöglicht Lauresham einen Zugang zum – für das Verständnis des frühmittelalterlichen Klosters Lorsch – so zentralen Thema der Grundherrschaft. Als abstrakter Ordnungsbegriff oft nur recht schwer vermittelbar, können die Organisationsmuster einer solchen Grundherrschaft anhand des Herrenhofcharakters von Lauresham recht einfach verdeutlicht werden. Im Rahmen der didaktischen Konzeption soll Lauresham deshalb auch als Zentrum eines kleinen Grundherrschaftsverbandes gelten. Der zentrale Hof soll dabei als Lebensmittelpunkt einer Familie der frühmittelalterlichen Oberschicht (nobilitas) mit dazugehörigen unfreien Hörigen (servi, mancipia), aber auch als Sammelpunkt für Abgaben aus zum Teil weit entfernt gelegenen Besitzungen verstanden werden. Die im Freilichtlabor repräsentierten unterschiedlichen Häuser sollen folglich nicht nur die wirtschaftliche Komplexität der Grundherrschaft verdeutlichen, sondern auch das sich darin widerspiegelnde Sozialgefüge zum Vorschein bringen: Den einfachen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden der hörigen Bauern wird das luxuriös ausgestattete Herrenhaus gegenübergestellt. Mit dem Konzept Lauresham kann zudem ein Eindruck von klösterlichem Grundbesitz gewonnen werden. Denn viele Grundherren schenkten aus Sorge um ihr Seelenheil ihre Besitztümer den Heiligen der Klöster, was so auch dem Kloster Lorsch eine Ausdehnung des Grundherrschaftsverbandes von der niederländischen Nordseeküste bis ins Schweizer Graubünden ermöglichte. Dabei konnten derartige Herrenhöfe wie (das fiktive) Lauresham oft wichtige Funktionen innerhalb des Abgaben- und Frondienstsystems einer solchen geistlichen Gemeinschaft einnehmen.
Nicht zuletzt erlaubt die didaktische Umsetzung von Lauresham auch einen direkteren Zugang zum Themenkomplex Glaube und Kirche, der aufgrund des fragmentarischen Charakters der Klosteranlage vor Ort nicht immer einfach ist. Eine besondere Rolle nimmt dabei auch die (re)konstruierte Kapelle ein. Als einziger Steinbau auf dem Freilichtgelände können dort Bauskulptur und Ausstattungsgegenstände in einem zusammenhängenden Kontext gezeigt werden. Lauresham erfüllt deshalb auch die besondere Aufgabe, das heute weitestgehend zerstörte Kloster Lorsch besser verstehen zu lernen. Selbst die Torhalle ist anhand der Kapelle von Lauresham besser vorstellbar, entspricht doch der Dachneigungswinkel der Kapelle exakt dem der heute durch das gotische Tonnengewölbe veränderten karolingerzeitlichen Torhalle.

Forschung

Auch die Säule der Forschung spielt im Freilichtlabor Lauresham eine sehr bedeutende Rolle. So wird in Lauresham seit 2016 in Kooperation mit verschiedenen Partnern im In- und Ausland eine Vielzahl unterschiedlichster Forschungsprojekte durchgeführt, bei denen handwerkliche und landwirtschaftliche Arbeitstechniken des frühen Mittelalters untersucht werden. Gleich mehrere Forschungsprojekte befassen sich hierbei mit der frühmittelalterlichen Landwirtschaft im Experiment, so beispielsweise das Wölbackerprojekt, welches sich mit der im Mittelalter weit verbreiteten Flurform der Wölbäcker beschäftigt oder das EXARC Twinning Projekt, dass sich der (Re)Konstruktion frühmittelalterlicher irischer Pflüge widmet. Das Auerrindprojekt stellt ebenfalls ein zentrales Element in der Forschungslandschaft dar. Hier soll es um die Züchtung und Erforschung des im 17. Jahrhunderts ausgestorbenen Auerochsen gehen, der im Frühen Mittelalter nicht nur in Bezug auf Wildnis und Jagd eine wichtige Rolle spielte, sondern auch im Hinblick auf damalige Natur- und Kulturlandschaften, welche damals stark vom Auerochsen geprägt waren. Im Rahmen des Panzerreiterprojekts soll die frühmittelalterliche Oberschicht eines Herrenhofes eingehender untersucht werden, unter anderem durch die (Re)konstruktion diverser Ausrüstungselemente eben jener Panzerreiter. Beim Grubenhausprojekt geht es darum, durch die experimentalarchäologische (Re)Konstruktion ausgewählter Gebäudebefunde mehr über den Bau, die Nutzung und Funktion  dieses frühmittelalterlichen Gebäudetyps zu erfahren und die verschiedenen Interpretations- und Deutungsspielräume bei der (Re)Konstruktion archäologischer Befunde aufzuzeigen.
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