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Wie hier am Zuchtstandort Schwarzach gut zu sehen, bewohnte und gestaltete der Auerochse ursprünglich vermutlich halboffene, abwechslungsreiche Landschaften
Abbildung 20: Wie hier am Zuchtstandort Schwarzach gut zu sehen, bewohnte und gestaltete der Auerochse ursprünglich vermutlich halboffene, abwechslungsreiche Landschaften

Auswirkungen der Beweidung auf die Artenvielfalt

Als großer Pflanzenfresser (Megaherbivor) nahm der Auerochse in seinem gesamten Verbreitungsgebiet bis zu seinem Aussterben, bedingt durch seine Größe und sein Herdenverhalten, eine wichtige Rolle als gestaltender Faktor in Ökosystemen ein. Durch sein Fressverhalten hielt er gemeinsam mit verschiedenen Großtieren (Waldelefant, Waldnashorn, Steppennashorn, Europäischer Wasserbüffel, Wildpferd, Europäischer Wildesel, verschiedene Bisons u.a.) Landschaften in Mitteleuropa großflächig offen, und ermöglichte so vielen an diese Verhältnisse angepassten Arten das Überleben. Der Dung der großen Tierherden wirkte als Magnet für verschiedenste Organismen, wie z.B. Dungkäfer und verschiedene Fliegen, die wiederum eine Nahrungsgrundlage für ganze Nahrungsketten boten. Als Verbreitungsvektor diente der Auerochse außerdem für die Samen verschiedener Pflanzen (Klettfrüchte, Wildobst) über viele Kilometer hinweg, war Nahrung für große Fleischfresser (Löwen, Hyänen, Rothunde, Wölfe) und bot auch als Kadaver eine Nahrungsgrundlage für verschiedenste Aasfresser wie Raubtiere, Greifvögel oder bestimmte Käfer. Auch nach dem Aussterben des Großteils der übrigen großen Pflanzenfresser während und nach der letzten Eiszeit blieb der Auerochse, gemeinsam mit dem Wisent, dem Wildpferd, dem Europäischen Wildesel sowie Rot- und Damhirsch, während des Holozän (der letzten 11.700 Jahre) erhalten, jedoch in, durch menschliche Bejagung verursacht, deutlich geringeren Dichten. Durch die geringe Dichte bedingt hatte er im Holozän auch einen geringeren Einfluss auf die Vegetation, was zu einer dichteren Bewaldung führte und sein bevorzugtes Habitat (halboffene Graslandschaften) verringerte. Im Zuge des Ackerbaus, der in Europa vor ca. 6000 Jahren Einzug hielt, kam der Auerochse nun zudem zunehmend in Konkurrenz zum menschlichen Vieh, und wurde vermehrt in für ihn suboptimale Lebensräume gedrängt. Der weiterhin bestehende hohe Jagddruck bedingte einen fortwährenden Populationsschwund, sodass der Auerochse im Verlauf der Frühen Neuzeit, spätestens zur Zeit der Industrialisierung, ausstarb. Damit einher ging der Verlust eines weiteren europäischen Großpflanzenfressers, und somit auch seine Wirkung als landschaftsgestaltender Faktor.

Mit der Einführung des Hausrindes sowie anderer domestizierter Tiere in Europa im Zuge des Ackerbaus übernahmen diese, während die wilden Pflanzenfresser zunehmends seltener wurden, immer mehr deren Rolle. Damit ermöglichten sie, und damit indirekt der Mensch, den ursprünglich an das Vorkommen von Megaherbivoren angepassten Artengemeinschaften das Überleben, auch nach dem Aussterben der Großpflanzenfresser. Mit den Anfängen der industriellen Landwirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert, und ihren Symptomen wie Nutzungsintensivierung und Stallhaltung, verschwanden schließlich auch die Nutztiere weitgehend aus der mitteleuropäischen Landschaft, was zu dramatischen Bestandseinbrüchen bei vielen an das Vorkommen der Megaherbivoren angepassten Arten führte.

Durch die Wiedereinführung extensiver, ganzjähriger Beweidungssysteme können diese Verluste zumindest teilweise aufgefangen und sogar lokal umgekehrt werden. Das Auerrindprojekt bemüht sich, hierbei mit seinen Beweidungsstandorten einen Beitrag zu leisten, sowie im Rahmen von Monitorings Bestandstrends zu dokumentieren.

Im Rahmen von Untersuchungen der Vielfalt von Insekten, Spinnentieren, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Pflanzen am Beweidungsstandort Wattenheimer Brücke bei Lorsch konnten zum Teil überraschende und seltene Funde dokumentiert werden, die im Folgenden kurz beleuchtet werden sollen. Eine Studie, die die Ergebnisse ausführlich widerspiegeln soll, ist zurzeit in Arbeit.

Durch lokale Unterschiede in der Beweidungsintensität entstehen kleinflächig differenzierte, blütenreiche Weiderasen
Abbildung 21: Durch lokale Unterschiede in der Beweidungsintensität entstehen kleinflächig differenzierte, blütenreiche Weiderasen
Der am Standort an der Wattenheimer Brücke vorkommende Stierkopf-Dungkäfer (Ontophagus taurus) ist deutschlandweit als „gefährdet“, in Hessen als „stark gefährdet“ gelistet. Bild: Frank Köhler
Abbildung 22: Der am Standort an der Wattenheimer Brücke vorkommende Stierkopf-Dungkäfer (Ontophagus taurus) ist deutschlandweit als „gefährdet“, in Hessen als „stark gefährdet“ gelistet. Bild: Frank Köhler

Bei den Käfern (die Aufarbeitung der Ergebnisse zu anderen Insektengruppen sind zurzeit noch in Arbeit) sind positiv mehrere Funde von landes- und bundesweit bedrohten Rote Liste-Arten zu nennen, teilweise gelang auch der landes- oder bundesweite Erstnachweis von Arten. Insgesamt konnten im Zeitraum des seit 2015 jährlich durchgeführten Monitorings (Stand 2022) knapp 600 Käferarten nachgewiesen werden. Positiv hervorzuheben sind davon unter anderem der in Hessen als „gefährdet“ gelistete Stierkäfer (Typhaeus typhoeus), der in Hessen als „stark gefährdet“ eingestufte Laufkäfer Agonum lugens und der deutschlandweit vom Aussterben bedrohte Pilzkäfer Combocerus glaber. Erstmals für Hessen nachgewiesen werden konnte der Faulholzkäfer Arthrolips picea, die Glanzkäferart Urophorus rubripennis konnte 2021 sogar erstmalig für Deutschland nachgewiesen werden. Auch bei den Spinnentieren konnten immerhin 2 deutschlandweite Rote-Liste-Arten nachgewiesen werden.

Unter den Amphibien sind besonders die Vorkommen der deutschlandweit stark gefährdeten Kreuzkröte (Epidalea calamita) und des Kammmolches (bundesweite Vorwarnliste) zu nennen. Erfreulicherweise konnte auch die vielerorts selten gewordene Blindschleiche (Anguis fragilis) am Standort nachgewiesen werden.

Der seltene Nördliche Kammmolch (Triturus cristatus) kommt auf der Beweidungsfläche an der Wattenheimer Brücke vor
Abbildung 23: Der seltene Nördliche Kammmolch (Triturus cristatus) kommt auf der Beweidungsfläche an der Wattenheimer Brücke vor
Goldammer (Emberiza citrinella), aufgenommen an der Wattenheimer Brücke
Abbildung 24: Goldammer (Emberiza citrinella), aufgenommen an der Wattenheimer Brücke

Bei den Vögeln ergaben Untersuchungen ebenfalls erfreuliche Ergebnisse: so konnten im Gebiet der Wattenheimer Brücke u.a. Wendehals (Jynx torquila), Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus), Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola), Neuntöter (Lanius collurio), Baumfalke (Falco subbuteo) und Schwarzspecht (Dryocopus martius) nachgewiesen werden. Unter diesen können besonders der Neuntöter und der Wendehals – welche in erster Linie halboffene Landschaften mit Gebüsch- bzw. Baumbestand und kurzrasiger Vegetation bewohnen – als Profiteure der Beweidung ausgemacht werden. Des Weiteren konnte der vielerorts selten gewordene Wiedehopf (Upupa epops) schon mehrfach als Gast auf der Fläche nachgewiesen werden.

Unter den wildlebenden Säugetieren ist positiv insbesondere der für die Lorscher Gemarkung erstmalige Wiedernachweis des Bibers (Castor fiber) zu nennen. Seit 2017 hat sich im renaturierten Weschnitzbereich unmittelbar an der Wattenheimer Brücke eine Biberfamilie angesiedelt; Nachwuchs konnte ebenfalls bereits nachgewiesen werden. Erfreulicherweise hat sich auch die Feldhasenpopulation (Lepus europaeus) im Gebiet stabilisiert. Daneben kommen übliche Arten wie Reh, Wildschwein, Fuchs, Dachs und Wildkaninchen vor.

Biber an der Wattenheimer Brücke (Bild: Gewässerverband Bergstraße)
Abbildung 25: Biber an der Wattenheimer Brücke (Bild: Gewässerverband Bergstraße)
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