Raumklima
Die (Re)Konstruktion frühmittelalterlicher Gebäude bietet neben den Erkenntnissen beim Bau auch die Möglichkeit, die Funktionalität und Nutzung eines Gebäudes zu testen und dabei die Lebensbedingungen vergangener Zeiten genauer zu erforschen. Besonders interessant ist hierbei die Frage nach dem Raumklima frühmittelalterlicher Häuser, insbesondere in der kalten Jahreszeit. Wie war das Leben in den Gebäuden im Winter gestaltet? Wie entwickelt sich die Raumtemperatur im Laufe des Tages? Wie sind die Lichtverhältnisse und wie ist die Luftqualität am Tag und in der Nacht? Auf einem Herrenhof als weitgehend selbstständige Wirtschaftseinheit spielen natürlich auch die „Betriebskosten“ eine Rolle. Daher ist auch der Holzverbrauch beim Heizen und Kochen von besonderem Interesse.
Im Rahmen von mehreren Versuchsreihen sollten diese Fragen nun beantwortet und die Wohnbedingungen in einem der Häuser des Freilichtlabors untersucht werden. Die Versuchsteilnehmer sollten für mehrere Tage im Haus wohnen und durch kochen und heizen eine bewohnte Situation schaffen, wie sie in karolingischer Zeit hätte herrschen können.
Die besagten Experimente fanden zu verschiedenen Zeiten im Winter 2017/18 und 2018/19 statt, teils mit moderner Ausrüstung und Kleidung, teils mit einer Ausstattung, die an frühmittelalterliche Verhältnisse angelehnt ist. Das gewählte „Haus der Hörigen I“ als rekonstruiertes Wohngebäude in Anlehnung an einen Hausbefund aus der frühmittelalterlichen Siedlung Kelheim eignete sich dabei besonders, gerade um das Raumklima eines Gebäudes der Unterschicht zu erforschen. Das Haus besitzt mehrere Fenster, Giebellöcher und Zugänge sowie zwei offene Feuerstellen zum Heizen und Kochen. Verschiedene Faktoren, die das Innenraumklima entscheidend beeinflussen (z.B. Luft- und Oberflächentemperaturen, Luftfeuchtigkeit, Lichtverhältnisse, Luftqualität) wurden während der Versuchstage kontinuierlich an unterschiedlichen Positionen im Haus gemessen. Daneben lag eine lange Messreihe von Temperaturdaten des unbewohnten Hauses zu unterschiedlichen Jahreszeiten vor und ermöglichte so einen Vergleich der bewohnten und unbewohnten Situation im Verlauf des Jahres. Auch der Holzverbrauch beim Heizen und Kochen wurde dokumentiert. Die gesammelten Daten des Raumklimaexperiments erbrachten wertvolle Informationen und teils sehr interessante Ergebnisse, die nicht nur der didaktischen Vermittlungsarbeit zugutekommen, sondern auch praktische Erfahrungen mit den Rekonstruktionsbauten und Hinweise für die Interpretation neuer Funde lieferten.
Im Februar 2020 wurde nun mit denselben Methoden das Innenraumklima im Herrenhaus erfasst, um mehr über die Lebensbedingungen der frühmittelalterlichen Oberschicht zu erfahren im Vergleich zu den Ergebnissen im Haus der Hörigen. Das nun gewählte Herrenhaus basiert auf einem spätmerowingerzeitlichen Fund bei Bad Urach (Runder Berg) und weist einige Unterschiede (Raumaufteilung, Dacheindeckung, Größe, Bewohnerzahl) zum Haus der Hörigen I auf. Daher ergaben sich auch einige Differenzen in den Messergebnissen, besonders bezüglich der Wärmeverteilung, des Rauchabzugs, des Holzverbrauchs oder der Wohnqualität.
Mehr über die ersten Ergebnisse des Raumklimaexperiments finden Sie hier:
Schabacker, Jens: Raumklima in frühmittelalterlichen Häusern, in: Laureshamensia. Forschungsberichte des Experimentalarchäologischen Freilichtlabors Karolingischer Herrenhof Lauresham 2 (2019), S. 28 – 43