„Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“

Jubiläumsausstellung präsentiert Neues zur Vergangenheit des UNESCO Welterbes Kloster Lorsch

Bis 28. NOV 2021 und 01.MÄR – 30. OKT 2022: DI – SO 10 – 17 Uhr

Im 30. Jahr der Verleihung des UNESCO Welterbetitels an Kloster Lorsch bringt eine Jubiläumsausstellung einmalige Funde aus einem alten Brunnen zum Vorschein. Die multimediale Schau „Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“ zeigt dem Publikum vom 6. Oktober 2021 an erstmals einen seltenen „Atzmann“. Die Skulptur aus dem 13. Jahrhundert ist ein steinerner Pultträger, der sich jetzt in die kleine Zahl erhaltener Exemplare dieses Typus einreiht: Nur 19 weitere waren bisher bekannt. Der „Atzmann“ und viele andere spektakuläre Architektur- und Figuren-Werkstücke waren in der Wandung eines barocken Brunnens verbaut. Sie stammen aus der zerstörten Lorscher Nazarius-Basilika, von der nur noch ein Baufragment existiert. Sie war einst als „Wunder an Pracht und Schönheit“ gerühmt worden. Die Neuentdeckungen lassen auf eine Blütezeit klösterlicher (Bau)Kunst auch in nachkarolingischer Zeit schließen.

Am Dienstag wird die von der Baudenkmalpflegerin Dr. Katarina Papajanni kuratierte Ausstellung im Schaudepot Zehntscheune in Anwesenheit der Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ayse Asar, eröffnet. Sie bleibt bis 28. November 2021 zugänglich und ist nach einer Winterpause wieder vom 1. März bis 30. Oktober 2022 zu besuchen.

Bei der Untersuchung eines alten Brunnens auf dem Gelände des
UNESCO Weltkulturerbes Lorsch vor einigen Jahren kamen unerwartet qualitätsvolle mittelalterliche Architektur- und Skulpturfragmente zum Vorschein. Eingebaut in die Wandung konnten einige von ihnen geborgen werden. Das Staunen über diese Funde war damals groß. Nach gründlicher Dokumentation, Restaurierung und wissenschaftlicher Einordnung sind sie nun erstmals öffentlich zu sehen. Die am 6. Oktober 2021 eröffnete Ausstellung “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG) ist der Höhepunkt des Jubiläumsprogramms zu 30 Jahren UNESCO Weltkulturerbe Kloster Lorsch.

Die Präsentation im Schaudepot Zehntscheune spiegelt nach Meinung der Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Ayse Asar, die Qualität und den Auftrag einer Welterbestätte. “Dies ist ein authentischer Ort der Geschichte, an dem Menschen dank beispielhafter Vermittlungsinitiativen von Neugierigen zu Wissenden werden. Kloster Lorsch hat uns immer wieder mit Aufsehen erregenden Ausstellungen begeistert, darunter die anthropologische Schau “Begraben und Vergessen. Knochen erzählen Geschichte” zu menschlichen Überresten. Stets werden der Vergangenheit neue wichtige Erkenntnisse entlockt und verständlich für das Publikum aufbereitet. Der Atzmann ist eine Sensation.”

Werkstücke werfen neues Licht auf die Geschichte des Klosters Die kostbaren Steinmetzarbeiten, die im oberen Teil des zehn Meter tiefen barocken Brunnens verbaut waren, gehörten einmal zur Ausstattung der ehemaligen Lorscher Nazarius-Basilika. Von dem Gotteshaus mit seinen Anfängen in der Karolingerzeit, das als “Wunder an Pracht und Schönheit” gerühmt wurde, ist heute nur noch der westliche Teil des Mittelschiffs (das sogenannte Kirchenfragment) erhalten.

Zu den Werkstücken aus dem Brunnen gehören unter anderem die ornamentierten Elemente einer Chorschranke aus romanischer Zeit sowie Fragmente von gotischen Skulpturen mit bedeutenden Farbfassungsresten. „Die Entdeckung der wiederverwendeten Spolien ist aus unserer Sicht nicht hoch genug einzuschätzen”, sagt Kirsten Worms, Direktorin der SG. “Sie werfen ein neues Licht auf die Geschichte des Klosters. Eine Blütezeit, unbestreitbar für die Epoche der karolingischen Herrscher, ist jetzt auch für spätere Jahrhunderte am Ort greifbar. Uns erscheint es sogar möglich, das Kloster in der Kunst und Architektur des Hoch- und Spätmittelalters neu zu verorten. Wir freuen uns über diesen großen Zugewinn an Erkenntnissen.“

Kuriosität: ein “Atzmann”

Unter den kunsthistorisch hochbedeutenden Funden ist beispielsweise ein “Atzmann” aus dem 13. Jahrhundert: Diese seltene Bilderfindung gehört zu den Kuriositäten steinerner Kathedralskulptur des Mittelalters: Er wurde als ein Diener in Menschengestalt mit liturgischen Gewändern dargestellt, der auf Brusthöhe eine Pultplatte vor sich hält. Insgesamt sind aktuell nur 20 Atzmänner erhalten. Das neu entdeckte Lorscher Exemplar fordert eine Bezugnahme zu anderen heraus, beispielsweise zu jenen der weltbekannten Dome von Naumburg und Straßburg sowie zum Atzmann in der ehemaligen Chorherrenstiftskirche St. Peter in Fritzlar. Daher werden zum Vergleich diese drei “Verwandten” als digitale Modelle und alle weiteren Pultträger mit Fotografien in der Ausstellung gezeigt.

Der Brunnen gab Erzählung und Szenographie vor Nach den Worten der Kuratorin und Baudenkmalpflegerin der SG, Dr. Katarina Papajanni, wurden die Objekte mit hochpräzisen 3DScans erfasst und mit unterschiedlichen Methoden der Bauforschung, Restaurierung und Kunstgeschichte sowie der Naturwissenschaften dokumentiert und analysiert. Zudem habe man mit den Funden früherer Grabungen einen erweiterten Kontext für manches hinzugekommene Werkstück geschaffen:

Korrespondierende Arbeiten aus dem Altbestand des Lorscher Lapidariums wurden einbezogen. “Wir haben sämtliche Blickwinkel auf das neue Material eingenommen, um sie disziplinenübergreifend einzuordnen”, so Papajanni. Auch der Brunnenschacht selbst war Gegenstand gründlicher Erforschung. Er gab die Idee zu einer aufwändigen Szenographie für “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” der Gestalterin Sabine Gutjahr (Exposition, Frankfurt). Papajanni und Gutjahr zielten darauf ab, die neuen Funde Interessierten aller Altersgruppen – auch ohne Vorkenntnisse – in ihrer Attraktivität und Bedeutung für Lorsch möglichst anschaulich vorzuführen.

Hinweis:
Die Ausstellung bleibt zunächst bis zum 28. November 2021 geöffnet. In der Winterpause der Zehntscheunde finden jedoch weiterhin Führungen nach vorheriger Anmeldungen statt. Vom 1. März bis 30. Oktober 2022 ist die Schau wieder uneingeschränkt zugänglich. 2022 erscheint zu “Geschichte schöpfen – Quellen aus einem Brunnen” eine umfangreiche Publikation im Verlag Schnell & Steiner.

Vorträge

7. Mai 2022, 18 Uhr
Verschenkt, enthauptet und begraben – Zum Schicksal von Kunst
Referentin: Angelika Wellnhofer, Regensburg

Bauwerke, Skulpturen und Gemälde sind Zeugen ihrer Zeit und wirken auf uns wie Ruheinseln im Strom der Geschichte. Aber nicht jedem Kunstwerk ist es bestimmt, in Würde zu altern. Vielmehr ist die Zerstörung von Kunst genauso alt wie die Kunstgeschichte selbst. Das Kirchenfragment des Klosters Lorsch und vor allem natürlich der aufsehenerregende Fund eines „Atzmanns“ im ehemaligen Klosterbrunnen machen dieses Thema auch für Lorsch aktuell und interessant.

Aus welchen Gründen und auf welche Weise wurde und wird Kunst zerstört? Was trieb die Täter an, was waren ihre Motive und was bezweckten sie? Was kann man daraus lesen, wie und wo man die Reste der Zerstörungen heute auffindet? Mit diesem Themenkreis beschäftigt sich der Vortrag der Kunsthistorikerin Angelika Wellnhofer aus Regensburg.

28. Mai 2022, 18 Uhr
Panorama der Fundmünzen aus dem Areal des ehemaligen Klosters Lorsch
Referent: Stefan Kötz, Münster

Auf dem Areal des ehemaligen Klosters Lorsch sind von den verschiedensten Ausgrabungs- und Bautätigkeiten seit dem späteren 19. Jahrhundert knapp 100 Fundmünzen bekannt geworden. Die vorerst letzte wurde am 11. August 2017 bei der Untersuchung des Brunnens, der im Zentrum der aktuellen Ausstellung steht, entdeckt. Der Vortrag nimmt das gesamte Fundmünzspektrum in den Blick, das vom früheren 2. Jahrhundert n. Chr. bis ins späte 20. Jahrhundert reicht. Ein Schwerpunkt liegt neben dem spätmittelalterlichen Kleingeld in Form von Schüsselpfennigen und Hohlringhellern insbesondere auf der Karolingerzeit vom späteren 8. bis späten 9. Jahrhundert – Lorsch ist die bedeutendste Fundstelle karolingischer Münzen in Hessen. So bietet der Vortrag Einblicke nicht nur in die Münz- und Geldgeschichte sowie die Währungsverhältnisse am unteren Oberrhein in ihrer jeweiligen Zeit, sondern auch in das, womit die Menschen im Kloster Lorsch jeweils bezahlt haben.

Beide Vorträge finden in der Zehntscheune statt.

Schaudepot Zehntscheune, bis 28. NOV 2021 und 01.MÄR – 30. OKT 2022, DI – SO 10 – 17 Uhr;

Eintritt ohne Führung: 5 € | ermäßigt 3 €; Gruppen ab 20 Personen 4 € pro Person
Familien (bis 2 Erwachsene und 4 Kinder unter 16 J.) 11,50 €

Eintritt mit Führung: bis 10 Personen 70 € (jede weitere Person 7 € | ermäßigt 5 €
Ab 20 Personen 6 € pro Person

Für weitere Informationen und Auskünfte sind wir gerne für Sie da:
UNESCO Welterbe Kloster Lorsch
Tel: +49 (0)62 51-86 92 00
Fax +49 (0)62 51-86 92 029
Mail: info@kloster-lorsch.de

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