Vor 30 Jahren bildeten die wenigen Gebäude und Reste einer
langen Mauer, die von der ehemaligen karolingischen Reichsabtei
erhalten waren, einen traurigen Rest. In ihrer Geschichte hatte die
von verschiedenen Ordensgemeinschaften geführte Abtei bauliche
Zerstörungen, die Aufhebung des geistlichen Lebens 1556 und
verschiedene weltliche Nutzungen erlebt. Zwischendurch drohte
selbst der Abriss der heute gerühmten Torhalle, die ein seltenes
Zeugnis karolingischer Architektur in Nordeuropa ist. Sie lässt
ahnen, wie stattlich einmal die hinter ihr liegende, nur als Fragment
erhaltene Nazarius-Basilika gewesen war; das „Wunder an Pracht
und Schönheit“.
1991 setzte eine Renaissance des Ortes ein: Die Deutsche
UNESCO Kommission nahm Kloster Lorsch mit geringem
Baubestand und die Fundamente der ersten Benediktiner-
Niederlassung, das Altenmünster, als erste hessische Stätte auf.
Seitdem entwickelte sie sich zu einem attraktiven Ausflugs- und
Lernort, der Maßstäbe für Welterbe-Pädagogik setzt. 2010-2014
wertete ein Investitionsprogramm von Bund und Land sowie der
Stadt Lorsch das Welterbe auf und veränderte das Areal: Eine
landschaftliche Neugestaltung machte den verlorenen
Klosterkomplex sichtbar. Der einstige reiche, intellektuelle
Bücherschatz der Mönche ist durch Digitalisierungen zugänglich.
Lorsch wurde zudem um „Lauresham“, das 1:1-Modell eines
frühmittelalterlichen Dorfes als experimentalarchäologisches
Freilichtlabor, erweitert.
Angela Dorn: „Welterbe lebendig halten“
Am Montag, den 13. Juni 2022, von 18:30 bis 21:30 Uhr, begehen
die Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen (SG) im Beisein vonWissenschafts- und Kunstministerin Angela Dorn und mit
halbjähriger Verspätung das Welterbejubiläum von Kloster Lorsch.
Der eigentliche Termin der Feier war der 13. Dezember 2021,
musste jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verlegt werden. In
ihrem Grußwort würdigt Staatsministerin Dorn vor allem die
vorbildliche enge Verzahnung von Wissenschaft und Vermittlung in
Lorsch. „Die Geschichte des Ortes wurde fortlaufend aufgearbeitet.
In den vergangenen 30 Jahren gab es ständig neue
wissenschaftliche Erkenntnisse insbesondere durch
Grabungskampagnen und Bauforschung, die in Ausstellungen und
in museumspädagogische Angebote für das Publikum mündeten.“
Die erste hessische Welterbestätte, heute sind es sieben
„Das UNESCO Welterbe Kloster Lorsch ist eines von inzwischen
sieben hessischen Denkmalkomplexen dieses höchsten Ranges.
Der Titel Welterbe adelt alle diese Orte und ist zugleich ein
besonderer Auftrag, sie lebendig zu halten, indem wir sie als Teil
unserer heutigen Welt verstehen. Kloster Lorsch zeigt dies
beispielhaft: Dort forscht ein engagiertes Team und leistet mit
immer wieder aktualisiertem Fachwissen hervorragende
Vermittlungsarbeit“, so Dorn.
Lorsch erfüllt UNESCO-Qualität auch mit inneren Werten
Kirsten Worms, Direktorin der Schlösserverwaltung ergänzt: „Die
UNESCO Welterbestätte Kloster Lorsch leistet all das, was der
hohe an Qualitätskriterien geknüpfte Titel Welterbestätte erfordert.
Die ehemalige Reichsabtei Karls des Großen präsentiert sich trotz
des Verlustes vieler Bauwerke nicht nur äußerlich in bester
Verfassung für die Welterbe-Gäste. Auch die »inneren Werte«
zeichnen diesen authentischen Ort aus: Vom Leiter der Stätte, Dr.
Hermann Schefers, und unseren engagierten Mitarbeitenden geht
ein beispielhaftes und zeitgemäßes Programm aus, das die
klösterliche Welt in Mittelalter und Früher Neuzeit lebensnah und
vielseitig nahebringt.“
Welterbepädagogik – am besten handlungsorientiert
Die Festrede hält Prof. Dr. em. Jutta Ströter-Bender, die als
Künstlerin und Kunstpädagogin die Entwicklung der Welterbe-
Pädagogik begleitete. Typisch für Lorsch ist Wissensvermittlung als
Erfahrung und Erlebnis. Besucherinnen und Besucher partizipieren
und interagieren bei alters- und zielgruppengerechten Angeboten.
Die Zugänge sind handlungsorientiert. Die Deutsche UNESCO
Kommission hat unter anderem auf Anregung von Kloster Lorsch
einen Bildungsauftrag als eigenes Anliegen in der „Hildesheimer
Resolution“ von 2006 aufgenommen. So wurde Lorsch zu einem
Pionier der „World Heritage Education“.
Für alle sichtbar: Bücherschätze der Bibliotheca Laureshamensis
Das Kloster war in seinen einflussreichsten Zeiten ein „Thinktank“
und brachte mit dem Skriptorium einzigartige Zeugnisse der
Schriftkultur hervor. Rund 300 Codices der ehemaligen Bibliothek
sind erhalten, verstreuten sich aber in der Welt. Um mehr Wissen
über Lorsch zu ermöglichen, wurden sie digitalisiert und online
gestellt. Die virtuelle „Bibliotheca Laureshamensis“ enthält unter
anderem das um 800 verfasste Lorscher Arzneibuch, welches
seinerseits zum UNESCO Weltdokumentenerbe erklärt wurde. Es
ist ein Meilenstein in der Medizingeschichte und inspirierte einen
Kräutergarten auf dem Lorscher Klostergelände.
Es gibt noch Zeitphasen, die zu entdecken sind
Nach den Worten von Dr. Schefers ist die karolingische Epoche des
Klosters aus Sicht der Forschung die „sicherlich bedeutendste“.
Doch man müsse sich künftig zur Aufgabe machen, mit gleicher
wissenschaftlicher Aufmerksamkeit die auf das Frühmittelalter
folgenden Jahrhunderte zu erforschen und zu dokumentieren: „Es
gibt eine Blütezeit um 950, wir haben eine Hoch-Zeit im 11.
Jahrhundert und selbst um 1200 ist Lorsch an einem neuen Gipfel
der Bedeutsamkeit angekommen.“ Kloster Lorsch habe zwar
politische und ökonomische Macht verloren, aber eine reiche
materielle und liturgische Kultur erhalten. Dies belegt auch die
gegenwärtig gezeigte Ausstellung, die der Höhepunkt des
Jubiläumsprogramms ist.
Von der Schatzsuche zur Wissenschaft zur Ausstellung
Die von Dr. Katarina Papajanni kuratierte Schau „Geschichte
schöpfen – Quellen aus einem Brunnen“ in der Zehntscheune (bis
Oktober 2022) speist sich aus Fragmenten von Skulpturen und
Architektur, die aus der Lorscher Basilika stammen. Sie waren
zerschlagen worden, um sie als Bruchmaterial für den Bau eines
Brunnens zu verwenden. Die vor Jahren entdeckten und teils
herausgelösten Werkstücke sind äußerst qualitätvolle Steinmetz-
und Bildhauerarbeiten. Zwei Skulpturen wurden weitgehend
rekonstruiert: ein „Tetramorph“ mit Evangelistensymbolen sowie
ein „Atzmann“, der als steinerner Pultträger fungierte – beide als
Diakone dargestellt. Die Funde belegen, dass das Kloster auch
später noch Glanz erlebte.